Paul Vogt Flüchtlingspfarrer (1900 – 1984)

«Lasst nie in Elend und in Pein, ein Menschenherz lieblos allein. Niemals am Leid vorübersehn! Nie müssig stehn! Zum Dienste gehn!»

Zum Dienst ist er gegangen, Paul Vogt, sein Leben lang. Durch sein soziales Engagement, seinen unbeirrbaren Tatendrang und seine vielfältigen Initiativen hat er der Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts seinen Stempel aufgedrückt.

Überblick

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Französisch

Paul Vogt a pris ses premières fonctions officielles de pasteur réformé en 1929 dans la paroisse appenzelloise de Walzenhausen. Pour lui, les problèmes sociaux de l’époque provenaient du chômage élevé et du manque de confiance en Dieu. Il racheta une maison de broderie vacante et la transforma en maison de travailleurs : la « Sonneblick ». Des programmes de travail y étaient proposés et les rassemblements religieux y étaient encouragés. Après la prise du pouvoir par les nazis en Allemagne, il voulut réveiller la Suisse. Il écrivit des lettres, composa des poèmes et donna des conférences. Il était actif sur de nombreux fronts sociaux : il se chargeait d’obtenir des passeports pour les personnes persécutées et s’occupait du soutien spirituel et économique des réfugiés. De par son dynamisme inébranlable, Paul Vogt est une figure incontournable de l’histoire suisse du XXe siècle.

Italienisch

Paul Vogt, pastore riformato, assunse la sua prima carica nel 1929 nel comune appenzellese di Walzenhausen. Per lui, i problemi sociali del posto scaturivano dall’elevato tasso di disoccupazione e dalla mancanza di fede. Acquistò quindi una casa sfitta originariamente usata per i ricami e la convertì in un centro di residenza per i lavoratori, il cosiddetto «Sonnenblick», che offriva programmi di lavoro e promuoveva l’interazione religiosa. Il suo obiettivo era scuotere la Svizzera dopo che i Nazionalsocialisti erano saliti al potere in Germania. Scrisse lettere, compose poesie e tenne discorsi. Assumendo un ruolo di capofila in molti altri impegni sociali, procurava i passaporti ai perseguitati e si occupava delle questioni pastorali ed economiche dei rifugiati. Grazie al suo imperturbabile dinamismo, Paul Vogt ha lasciato il segno nella storia svizzera del XX secolo.

Paul Vogt versteht sein evangelisch-reformiertes Pfarrersein als Dienst. Seine zweite Pfarrstelle findet er 1929 in der Appenzeller Vorderländer Gemeinde Walzenhausen. Die sozialen Unruhen durch die Textilkrise belasten die Gesellschaft. Für ihn steht fest: Die sozialen Probleme entspringen der hohen Arbeitslosigkeit, dem Alkoholmissbrauch und dem mangelnden Gottvertrauen. Er kauft 1933 ein leerstehendes «Stickerhämetli» über dem Dorf und funktioniert es zum Evangelischen Sozialheim «Sonneblick» um, das bis heute besteht. In seinen Räumlichkeiten werden verschiedene Arbeits- und Bildungsprogramme angeboten und das christliche Zusammenleben gefördert. Ermöglicht wird dieses Projekt durch Vogts wachsendes Netzwerk aus Gönnern und Gleichgesinnten.

Vogt, seit 1936 in Zürich-Seebach, weiss Genaues über die Verhältnisse in Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er hat früh Einblick in die Auschwitz-Akten. Er rüttelt damit die Schweiz wach. Er schreibt Briefe, verfasst Gedichte, hält Vorträge und platziert unzählige Artikel in der Evangelischen Monatszeitung «Das Abendrot». Die Gräueltaten im 2. Weltkrieg führen ihn in eine Lebenskrise und prüfen seinen Glauben an die Menschheit. Doch sein Tatendrang wird gestärkt. Sein Sozialheim «Sonneblick» macht er zum Flüchtlingsheim. Bei vielen weiteren sozialen Initiativen ist er federführend: er organisiert Reisepässe für die Verfolgten, bucht ihnen Ausreisen in sichere Länder und kümmert sich um ihre seelsorgerischen und wirtschaftlichen Anliegen. Walzenhausen und weitere seiner Flüchtlingsheime werden zu sicheren Häfen für verfolgte Menschen.

Vogts humanitäre Mission, die in seinem tiefen Glauben an Jesus Christus wurzelt, bestimmt sein Leben. Sein Umfeld wird auf seine Ideale verpflichtet. Unbeirrt sensibilisiert er weite Kreise der Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlingsnot und motiviert sie zum aktiven Handeln. Für ihn wird 1943 das schweizerische Flüchtlingspfarramt an der Streulistrasse 54 in Zürich geschaffen. Zwei seiner Initiativen sind in die Geschichte eingegangen. Zum einen ruft er die «Freiplatzaktion» ins Leben und startet damit den Aufruf an Familien, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen. Zum anderen sammelt er bedeutende Summen durch den «Flüchtlingsbatzen», dessen Ertrag für den Aufenthalt der Flüchtlinge bestimmt ist. Nach Ende des 2. Weltkrieges bleibt Vogt sozial engagiert und öffnet zum Beispiel 1956 die Türen des «Sonneblicks» für die Flüchtlinge des Ungarnaufstands. Bis zu seiner Pensionierung ist er Gemeindepfarrer in Grabs und Degersheim. Vogt stirbt 1984 im Alter von 84 Jahren in Zizers.

Flüchtlingspfarrer Paul Vogt, seit 1947 Dr. h.c. der Universität Zürich, wurde von seinen Zeitgenossen widersprüchlich beurteilt: Den einen galt er als innovativer Sozialpionier und begnadeter Dichter und Schriftsteller, den anderen als schwärmerischer Fantast und autoritärer Patriarch. Eines steht allerdings fest: Durch sein soziales Engagement, seinen
unbeirrbaren Tatendrang und seine vielfältigen Initiativen hat Paul Vogt der Schweizer Geschichte des 20. Jahrhunderts seinen Stempel aufgedrückt.

  • Paul Vogt wird als Sohn des gleichnamigen reformierten Predigers in Männedorf geboren.
    1900
  • Paul Vogt übernimmt die Pfarrstelle in Walzenhausen und engagiert sich in zahlreichen karitativen Aufgaben, u.a. im Bereich Seelsorge, Alkoholismus und Arbeitslosigkeit.
    1929
  • Paul Vogt gründet das Sozialheim «Sonneblick» in Walzenhausen als Arbeitslosenprojekt und Veranstaltungsort für Arbeitslosenkurse. In den 30er-Jahren wird es zum Flüchtlingsheim.
    1933
  • Paul Vogt wird als Pfarrer nach Zürich Seebach berufen. Er bleibt mit dem «Sonneblick» verbunden.
    1936
  • Vor und während des 2. Weltkriegs setzt sich Paul Vogt für eine grossherzige Flüchtlingspolitik ein.
    1939
  • Paul Vogt übernimmt das durch den evangelischen Kirchenbund und die Zürcher Landeskirche eigens für ihn eingerichtete Flüchtlingspfarramt. Seine Initiativen wie der «Flüchtlingsbatzen» gehen in die Geschichte ein.
    1943
  • Die Universität Zürich verleiht Paul Vogt den Ehrendoktor der Theologie (Dr. theol. h.c.).
    1947
  • Paul Vogt stirbt am 12. März 1984 in Zizers.
    1984

Wirkungsorte

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Seine Initiativen

Im Juni 1943 wurde in Zürich das evangelische Flüchtlingspfarramt gegründet. Paul Vogt wurde die Leitung dieses Amtes übertragen. Seine Aufgabe bestand in der Betreuung der unzähligen Flüchtlinge, die seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten täglich die Schweiz erreichten. In seiner Tätigkeit prägte er vor allem die Inititativen «Flüchtlingsbatzen» und «Freiplatzaktion». Im folgenden Ausschnitt aus einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen gibt er uns persönlich einen Einblick in diese beiden Projekte.

(Quelle: © 2020 Schweizer Radio und Fernsehen, lizenziert durch Telepool GmbH Zürich)

Arbeiten im «Sonneblick»

Um der grossen Arbeitslostigkeit der 1920er und 30er-Jahren in Walzenhausen produktiv entgegenzuwirken, bot Paul Vogt in seinem Sozialheim Sonneblick Arbeitskurse an, die mit einem Meisterdiplom abgeschlossen werden konnten. Vogts Inititative verfolgte dabei zwei Ziele: es sollte den Arbeitslosen die Möglichkeit zu einer Berufsausbildung gegeben werden und gleichzeitig sein Sozialheim von diesen selbst unterhalten und gefördert werden. So wurden nicht nur im eigenen Garten Gemüste für die Verpflegung angebaut und in eigenen Werkstätten Mobiliar und Werkzeuge für den täglichen Gebrauch hergestellt, sondern es wurde auch die steile Zufahrtsstrasse zum Sonneblick aus Pflastersteinen erstellt. Ein Film aus dem Jahre 1935 zeigt die verschiedenen Arbeitsprogramme, die im Sonneblick durchgeführt wurden.

Der gesamte Film kann im «Sonneblick» oder über den Verein «Appenzeller Friedens-Stationen.ch» angeschaut werden. Bitte nehmen Sie bei Interesse mit uns Kontakt auf.

Ein Film aus dem Jahre 1935 zeigt die verschiedenen Arbeitsprogramme, die im «Sonneblick» durchgeführt wurden.
Die Aus- oder Weiterbildung im «Sonneblick» wurde offiziell mit einem Ausweis bestätigt. Auf diese Weise konnten sich die Absolventinnen und Absolventen des «Sonneblick» in den Arbeitsmarkt integrieren.

Paul Vogt erzählt

Im Jahr 1977 führte das Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich im Zusammenhang mit der Übernahme seines Nachlasses ein umfangreiches Interview mit Paul Vogt. Darin spricht über die Anfänge in Walzenhausen, sein Hilfswerk und Flüchtlingspfarramt, seine Initiativen sowie sein späteres Leben. Hören Sie untenstehend in einige Schlüsselstellen aus diesem Interview hinein.

(Quelle: ETH Zürich Archiv für Zeigeschichte, NL Paul Vogt)

Etwas tun müssen

Der «Sonneblick»

Das Flüchtlingspfarramt

Die Bekennende Kirche in Deutschland

Ehrendoktor der Universität Zürich

Seine Gedichte

Gedichte spielten in Paul Vogts leben eine grosse Rolle. Seine politischen Überzeugungen und sein Gottvertrauen hat er oft und Zeit seines Lebens in Verse gekleidet. Seine eingängigen Gedanken eigneten sich auch für die Tonsetzung und wurden in Liedern als Strophentexte verwendet. Untenstehend eine kleine Auswahl seiner poetischen Tätigkeit.

Stimmen und Perspektiven

Im folgenden Videobeitrag äussern sich Angehörige, Wissenschaftler und Theologen zum Leben und Wirken von Paul Vogt. Die Interviews wurden als Teil eines Projektes aufgenommen und können in voller Länge beim Verein «Appenzeller Friedens-Stationen.ch» eingesehen werden.

Leseempfehlungen

In der folgenden, kleinen Auswahl an Publikationen finden Sie weitere Informationen und Anregungen zur Beschäftigung mit dem Leben und Werk von Paul Vogt:

  • Der Nachlass von Paul Vogt ist im Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich einsehbar. Das umfangreiche Material ist für eine weitere Beschäftigung mit Paul Vogt unverzichtbar.
  • Rusterholz, Heinrich, "... als ob unseres Nachbars Haus nicht in Flammen stünde" : Paul Vogt, Karl Barth und das Schweizerische Evangelische Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland 1937-1947, Zürich 2015.
    Eine ausführliche Einführung in das theologische und soziale Wirken von Paul Vogt. Besondere Beachtung finden seine kirchlichen Initiativen wie die Wipkinger Tagungen.
  • Vogt, Paul, Essay, in: Schaffner, Hans (Hg.), Das Wichtigste in meinem Leben. Bekannte Männer und Frauen erzählen, Bern 1983, S. 248-257.
    Paul Vogt beschreibt in dieser autobiographische Abhandlung sein Leben und Wirken. Gut für einen kurzen Überblick geeignet.
  • Alle Akten seit der Gründung des «Sonneblick» werden im Staatsarchiv des Kantons Appenzell Ausserrhoden in Herisau geordnet und verwaltet.

Impressionen

Bereits in seinen Schulaufsätzen auf Sekundarstufe beschäftigt sich der Schüler Paul Vogt mit Fragen des Fremden. In dieser Geschichte - betitelt «Fürs Vaterland» - tritt unter anderem eine mysteriöse Aussenseiterfigur namens «Frieder» auf.
Paul Vogt mit seiner Familie.
Gedenktafel an Paul Vogt an der Kirche Walzenhausen.
Diese Broschüre gibt einen einmaligen Einblick in das Leben im «Sonneblick» in den 1930er-Jahren.
Mit diesem Eintrag im Grundbuchamt der Gemeinde Walzenhausen vom 27. Februar 1933 nimmt das Sozialheim «Sonneblick» seinen Anfang.
Um auf das nationalsozialistische Regime in Deutschland aufmerksam zu machen und die Schweiz wachzurütteln, gründete Vogt eine eigene Zeitschrift mit dem Titel «Nicht fürchten ist der Harnisch».